Eignung von Personengesellschaften als Organgesellschaft

11/01/2022

Marcus Vörös (marcus.voeroes@str-auren.de), Steuerberater. Mitglied des Auren-Teams VAT Experts – unsere Experten für Umsatzsteuer national und international

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat mit Urteil vom 15.04.2021 (C-868/19) entschieden, dass für die Eignung einer Personengesellschaft als Organgesellschaft die Gesellschafter dieser Personengesellschaft nicht finanziell in den Organträger eingegliedert sein müssen.

Sachverhalt

Das FG Berlin-Brandenburg hatte mit Beschluss vom 21.11.2019 (Az. 5 K 5044/19) den EuGH um eine Vorabentscheidung zur Frage der finanziellen Eingliederung einer Personengesellschaft als Organgesellschaft ersucht. Im zugrundeliegenden Fall ist die M-GmbH Kommanditistin einer GmbH & Co. KG, die nach dem Gesellschaftsvertrag in der Gesellschafterversammlung sechs Stimmen hat. Im Übrigen waren an der GmbH & Co. KG noch eine Komplementärin und vier weitere Kommanditisten mit jeweils einer Stimme beteiligt. Die Gesellschafterbeschlüsse wurden bei der GmbH & Co. KG mit einfacher Mehrheit gefasst. Die Komplementärin und die vier Kommanditisten sind nicht gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG in das Unternehmen der M-GmbH finanziell eingegliedert. Die organisatorische und wirtschaftliche Eingliederung der GmbH & Co. KG in der M-GmbH lagen vor. Das FG Berlin-Brandenburg vertritt die Auffassung, dass in diesem Fall – entgegen der Auffassung der Finanzverwaltung – auch die finanzielle Eingliederung der GmbH & Co. KG in die M-GmbH vorliegt. Daher ging die GmbH & Co. KG zurecht von einer umsatzsteuerlichen Organschaft zur GmbH aus und gab als Folge keine Umsatzsteuervoranmeldungen ab.

Ein weiteres anhängiges Verfahren beim Bundesfinanzhof (Az. V R 45/19) wurde bis zur Entscheidung des EuGH ausgesetzt (vgl. FG Baden-Württemberg, Urteil vom 7.11.2019, 1 K 1952/18).

Hintergrund

Nach dem Wortlaut des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG können nur juristische Personen Organgesellschaften in einer umsatzsteuerlichen Organschaft sein, wenn die Voraussetzungen zur finanziellen, wirtschaftlichen und organisatorischen Eingliederung in das Unternehmen des Organträgers erfüllt sind. Mit den Urteilen vom 16.07.2015 (C-108/14 und C-109/14) hat der EuGH jedoch entschieden, dass auch Personengesellschaften Organgesellschaften sein können.

Die Anwendung der o. g. EuGH-Entscheidung hat der V. Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) in seinen Urteilen vom 02.12.2015 (V R 25/13) und vom 3.12.2015 (V R 36/13) insoweit eingeschränkt, als eine Personengesellschaft nur in dem Fall Organgesellschaft sein kann, wenn neben dem Organträger nur finanziell in den Organträger eingegliederte Personen Gesellschafter sind. Folglich könnten an der finanziell einzugliedernden Personengesellschaft keine natürlichen Personen beteiligt sein. Die Begründung des V. Senats für diese Einschränkung liegt darin, dass nach deutschem Gesellschaftsrecht bei Personengesellschaften eine Änderung der Gesellschaftsverträge und damit auch die der Stimmrechtsregelungen formfrei möglich ist. Dabei sieht der V. Senat das Risiko missbräuchlicher Gestaltungen wie Steuerhinterziehung bzw. Steuerumgehung. Die Auffassung des V. Senats des BFH hat die Finanzverwaltung in Abschnitt 2.8 Abs. 5a UStAE übernommen.

Demgegenüber hat der XI. Senat des BFH in seinen Urteilen vom 19.01.2016 (XI R 38/12) und 01.06.2016 (XI R 17/11) offengelassen, ob er der einschränkenden Auffassung des V. Senats folgen möchte und geht grundsätzlich davon aus, dass auch eine GmbH & Co. KG eine umsatzsteuerliche Organgesellschaft sein kann.

Urteil

Der EuGH hat nun mit seinem Urteil vom 15.04.2021 (C-868/19) klargestellt, dass die im Abschnitt 2.8 Abs. 5a UStAE verankerte Einschränkung gegen Unionsrecht verstößt, dass alle Gesellschafter finanziell in den Organträger eingegliedert sein müssen, damit Personengesellschaften Organgesellschaften sein können. Diese Einschränkung ist auch nicht zur Vermeidung von Steuerhinterziehung und / oder Steuerumgehungen geeignet. Dazu wäre aus Sicht des EuGH eine Bewilligung der Organschaft durch die Finanzverwaltung besser geeignet.

Im Fall des FG Berlin-Brandenburg liegt die finanzielle Eingliederung der GmbH & Co. KG in die M-GmbH vor, da diese durch die Stimmrechtsmehrheit in der Gesellschafterversammlung ihren Willen in der GmbH & Co. KG durchsetzen kann. Die theoretische Möglichkeit, den Gesellschaftsvertrag der KG mündlich so zu ändern, dass Beschlüsse einstimmig zu fassen sind, genügt laut EuGH nicht, um die finanzielle Eingliederung abzulehnen.

Praxishinweise

Die Finanzämter sind nach wie vor an die Regeln im Abschnitt 2.8 Abs. 5a UStAE gebunden. Die dort genannte Einschränkung gilt, solange der Anwendungserlass nicht geändert wird. Es ist jedoch damit zu rechnen, dass das BMF den Anwendungserlass insoweit an die neue EuGH-Rechtsprechung anpassen wird. Aus diesem Grund sollten Unternehmen prüfen, ob sie aufgrund der neuen Rechtsprechung nicht ggf. versehentlich eine umsatzsteuerliche Organschaft begründen, ohne dies zu beabsichtigen.

Ist hingegen die Begründung einer Organschaft mit einer Personengesellschaft gewünscht, obwohl an ihr weitere nicht finanziell in den Organträger eingegliederte Gesellschafter beteiligt sind, kann man sich bei Vorliegen der weiteren Eingliederungsvoraussetzungen auf das o. g. EuGH-Urteil berufen. Voraussetzung für die finanzielle Eingliederung ist aber weiterhin, dass nach der individuellen Ausgestaltung der Stimmrechte der Organträger in der Personengesellschaft trotz der Beteiligung weiterer Personen seinen Willen durchsetzen kann. Ist jedoch die Vermeidung einer solchen Organschaft gewünscht, kann diese durch eine Stimmenverteilung verhindert werden, die dem Organträger die Durchsetzung seines Willens in der Personengesellschaft nicht ermöglicht.

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