Präventive Restrukturierung auch ohne Insolvenz

03/02/2021

Zum 1. Januar 2021 traten wesentliche Teile des Gesetzes zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (SanInsFoG) in Kraft und damit weitreichende sowie bedeutende Neuerungen für die Insolvenz- und Sanierungspraxis.

Zentraler Bestandteil des SanInsFoG ist das Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (StaRUG), dass der Umsetzung der EU-Richtlinie über den präventiven Restrukturierungsrahmen (Richtlinie (EU) 2019/1023 vom 20. Juni 2019) in nationales Recht dient und erstmals ein Rechtsrahmen zur frühzeitigen außer- bzw. vorinsolvenzlichen Sanierung in Eigenverwaltung eröffnet. Dieser gibt Unternehmen und Soloselbständigen neue Instrumente an die Hand, um besser durch eine Krise zu kommen, sich bereits im Falle einer drohenden Zahlungsunfähigkeit – ohne ein Insolvenzverfahren durchlaufen zu müssen – sanieren zu können und somit ein Insolvenzverfahren ggf. zu vermeiden.

Daneben werden durch das SanInsFoG die Erkenntnisse aus der Evaluation des Gesetzes zur weiteren Erleichterung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (ESUG) umgesetzt und Vorschriften der Insolvenzordnung zur Anpassung an den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen geändert.

Um Unternehmen bei Vorliegen einer Überschuldung mehr Zeit für ihre Sanierungsbemühungen und ggf. für die Vorbereitung eines Restrukturierungsvorhabens im Rahmen des neuen StaRUG zu verschaffen, wurde die Insolvenzantragsfrist bei Überschuldung von drei auf sechs Wochen verlängert.

Zugleich wird die drohende Zahlungsunfähigkeit begrifflich stärker abgegrenzt von der Überschuldung: drohende Zahlungsunfähigkeit bleibt zwar unverändert im Rahmen der für die Überschuldungsprüfung vorzunehmenden Fortführungsprognose zu berücksichtigen, jedoch erstreckt sich der Prognosezeitraum für die Überschuldung nunmehr ausdrücklich nur noch auf zwölf Monate.

Außerdem nimmt das SanInsFoG nachfolgend beschriebene Erleichterungen für Unternehmen vor, die durch die Corona-Pandemie in wirtschaftliche Schieflage geraten sind:

Die geplanten strengeren Zugangsvoraussetzungen zu Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung wurden für Unternehmen, deren finanzielle Krise auf die COVID-19-Pandemie zurückzuführen ist, gelockert.

Zudem nimmt die vorübergehende Verkürzung des Prognosezeitraum für die Fortführungsprognose im Überschuldungstatbestand (auf vier statt neuerdings zwölf Monate), auf die derzeitigen Prognoseunsicherheiten Rücksicht.

Schließlich wurde die Insolvenzantragspflicht für den Monat Januar 2021 für Unternehmen ausgesetzt, bei denen die Auszahlung der seit dem 1. November 2020 vorgesehenen staatlichen Hilfeleistungen noch aussteht. Die Aussetzung gilt aber nicht, wenn offensichtlich keine Aussicht auf Erlangung der Hilfeleistung besteht oder die erlangbare Hilfeleistung für die Beseitigung der Insolvenzreife unzureichend ist.

Herzstück des SanInsFoG: die Schaffung des StaRUG

Hauptinhalt der Neuregelungen im SanInsFoG ist die Neuausgestaltung eines Rechtsrahmens für Unternehmenssanierungen im neuen StaRUG, insbesondere der neue präventive Restrukturierungsplan, der die bislang bestehende Lücke schließt zwischen einer außergerichtlichen, konsensualen Sanierung (Zustimmung sämtlicher Gläubiger erforderlich) und einer Sanierung per Gläubigermehrheitsentscheidung innerhalb eines formellen Insolvenzverfahrens (etwa im Rahmen eines Schutzschirmverfahrens oder einer Eigenverwaltung). Unternehmen in der Krise erhalten auf diese Weise zukünftig vielfältige neue Möglichkeiten, da sie Instrumente aus der Eigenverwaltung bereits vor bzw. außerhalb von einem Insolvenzverfahren nutzen und Sanierungsmaßnahmen aufgrund eines mehrheitlich von den betroffenen Gläubigern bestätigten Plans und damit auch gegen den Willen einzelner Minderheiten-Gläubiger umsetzen können.

Die wesentlichen Eckpunkte des Restrukturierungsplans lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Anwendungsbereich

Zugang zum Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen erhalten ausschließlich Schuldner im frühen Krisenstadium, d. h. Unternehmen und unternehmerisch tätige natürliche Personen (Soloselbständige), bei denen Zahlungsunfähigkeit droht, jedoch weder Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO) eingetreten noch Überschuldung (§ 19 InsO) gegeben ist. „Drohend“ ist die Zahlungsunfähigkeit künftig dann, wenn das Unternehmen voraussichtlich innerhalb eines Prognosezeitraums der kommenden zwei Jahre nicht in der Lage sein wird, seine bestehenden Zahlungspflichten im Zeitpunkt der Fälligkeit zu erfüllen.

Ist die Aussicht auf eine Sanierung gut, konnten Unternehmen bisher in solchen Fällen Insolvenz beantragen und über das Insolvenzverfahren sanieren. Zukünftig ist es möglich, stattdessen ein Restrukturierungsverfahren vor Gericht zu beantragen.

Tritt Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung hingegen ein, nachdem bereits mit der Sanierung nach dem StaRUG begonnen wurde, kann das Restrukturierungsgericht im Interesse der Gläubigergesamtheit von einer Aufhebung der Restrukturierungssache absehen und so die Fortführung eines Restrukturierungsvorhabens, bei dem die Erreichung des Restrukturierungsziels überwiegend wahrscheinlich ist, ermöglichen.

Ablauf – Verfahren

Der Unternehmer erarbeitet unter Berücksichtigung detaillierter Gesetzesvorgaben mit seinen Gläubigern einen Restrukturierungsplan, eine Art Gesamtvergleich mit den Gläubigern des Schuldners, in dem er seine Rechtsverhältnisse gestaltet und den Gläubigern ein Angebot zur Regulierung von Verbindlichkeiten unterbreitet, um beispielsweise  mithilfe von Stundungen oder Schuldenerlasse der Gläubiger eine Erhaltung des Unternehmens zu gewährleisten.

Über diesen Plan stimmen die Planbetroffenen, also insbesondere die Gläubiger ab. In Anlehnung an das Insolvenzplanverfahren werden die betroffenen Gläubiger hierfür unter Berücksichtigung ihrer unterschiedlichen Rechtsstellungen und nach Maßgabe ihrer wirtschaftlichen Interessen (z. B. gesicherte Gläubiger, nicht nachrangige ungesicherte Gläubiger, nachrangige Gläubiger, Inhaber von Anteils- oder Mitgliedschaftsrechten) in Gruppen eingeteilt. Da das Verfahren kein Gesamtvollstreckungsverfahren darstellt, kann der Schuldner den Restrukturierungsplan mit pflichtgemäßem Ermessen auf einzelne Gläubigergruppen beschränken, wobei die Auswahl nach sachgerechten Kriterien zu erfolgen hat.

Die Wirksamkeit des Plans erfordert nicht die Zustimmung aller Gläubiger, sondern muss lediglich von der Mehrheit der Gläubiger angenommen werden, d. h. wenn entweder eine Mehrheit von 75 Prozent in jeder Gläubigergruppe zustimmt oder die Zustimmung wegen Zustimmung der Mehrheit der Gruppen fingiert wird (sog. gruppenübergreifende Mehrheitsentscheidung). Der Stabilisierungs- und Restrukturierungsplan kann also gegen den Willen einzelner Gläubiger umgesetzt werden.

Der Entwurf des Restrukturierungsplans, die Verhandlungen mit den Gläubigern sowie die Planabstimmung sollen grundsätzlich durch das Unternehmen in Eigenregie erfolgen und bedürfen grundsätzlich keiner Einbindung des Restrukturierungsgerichts. Eine Restrukturierung auf Basis des vom Unternehmen angebotenen Plans kommt zustande, wenn

  • sämtliche Planbetroffenen einstimmig zustimmen oder
  • die erforderlichen Mehrheiten zustimmen und der Plan anschließend gerichtlich bestätigt wird.

Darüber hinaus muss das Gericht auch dann involviert werden, wenn eine Vollstreckungs- und/oder Verwertungssperre erreicht werden soll.

Inhaltlich weist der Restrukturierungsplan deutliche Parallelen zu einem Insolvenzplan auf. Der darstellende Teil enthält das Restrukturierungskonzept, das auf Grundlage des Plans und mit der Bewirkung der im gestaltenden Teil vorgesehenen Rechtsfolgen verwirklicht werden soll.

Der Restrukturierungsrahmen wird nicht auf Finanzgläubiger beschränkt, sondern kann sich auf alle Arten von Forderungen und Sicherungsrechten erstrecken. Von vornherein ausgenommen sind lediglich Arbeitnehmerforderungen betreffend das Arbeitsverhältnis einschließlich Ansprüche auf betriebliche Altersvorsorge sowie Forderungen aufgrund vorsätzlicher unerlaubter Handlungen und staatliche Sanktionsforderungen. Das Unternehmen hat die Reichweite unter Zugrundelegung sachlicher Kriterien zu bestimmen. Forderungen der planbetroffenen Gläubiger können nicht nur gekürzt und gestundet werden. Für Dauerschuldverhältnisse z. B. können darüber hinaus auch im Übrigen günstigere Vertragskonditionen neugestaltet werden insoweit als die Forderung bereits begründet und die entsprechende Gegenleistung vom Vertragspartner bereits erbracht wurde (nicht hingegen hinsichtlich zukünftiger Forderungen aus einer fortgesetzten Leistungserbringung). Im Restrukturierungsplan können alle gesellschaftsrechtlich zulässigen Maßnahmen vorgesehen werden wie beispielsweise – im Einverständnis des betroffenen Gläubigers – auch die Umwandlung von zu restrukturierenden Forderungen in Anteils- oder Mitgliedschaftsrechte an dem zu restrukturierenden Unternehmen (Debt-to-Equity-Swap).

Zum Schutz von im Plan vorgesehen neuen Finanzierungen und Transkationen im Zusammenhang mit der Umsetzung des Restrukturierungsvorhabens gilt eine haftungs- und anfechtungsrechtliche Privilegierung: Allein die Kenntnis von der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache oder der Inanspruchnahme von Instrumenten des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens wirken nicht haftungs- bzw. vorsatzbegründend. Jegliche Maßnahmen, die in Vollzug des Plans erfolgen, mit Ausnahme von Gesellschafterdarlehen und gleichgestellten Forderungen sowie deren Besicherung, unterliegen grundsätzlich nicht der Insolvenzanfechtung; privilegiert sind vor allem Sicherheitenbestellungen (nicht aber spätere Darlehensrückzahlungen). Für ein etwaiges späteres Insolvenzverfahren kann im Restrukturierungsplan zudem für neue Finanzierungen eine Vorrangstellung gegenüber allen anderen Gläubigern geregelt werden.

Restrukturierungsgericht und Restrukturierungsbeauftragter

Die Einbindung des Restrukturierungsgerichts (Amtsgericht) ist grundsätzlich nur erforderlich, wenn es einerseits im Rahmen des Restrukturierungsvorhabens zu einem Eingriff in die Rechte von Planbetroffenen kommen soll (so z. B. bei der Entwicklung des Restrukturierungsplans und insbesondere bei einer gerichtlichen Planbestätigung zu Lasten einer überstimmten Gläubigerminderheit).

Anderseits kann das Unternehmen – um bis zur Restrukturierungsplanbestätigung für Stabilität zu sorgen und auf diese Weise die Erfolgsaussichten des Restrukturierungsvorhabens zu erhöhen – beim Restrukturierungsgericht eine temporäre Vollstreckungs- und Verwertungssperre gegenüber – ausgewählten oder allen – planbetroffenen Gläubigern beantragen (sog. Stabilisierungsanordnung) und so die Forderungsdurchsetzung im Wege der Zwangsvollstreckung bzw. die Verwertung von Sicherheiten durch die Gläubiger für eine Laufzeit von drei Monaten (unter besonderen Voraussetzungen erhöht auf vier bzw. bis zu acht Monate) unterbinden.

Folge einer Stabilisierungsanordnung ist die Einschränkung der Ausübung von Leistungsverweigerungsrechten (keine Verweigerung allein aufgrund rückständiger Leistungen aus Zeiten vor der Anordnung) und Kündigungsrechten (keine Geltendmachung von Vertragsbeendigungs- oder -abänderungsrechten unter Hinweis auf den Rückstand). Unberührt bleibt das Recht eines vorleistungspflichtigen Gläubigers eine Sicherheitsleistung zu verlangen oder nur Zug um Zug zu leisten sowie das Kündigungsrecht des Darlehensgebers, der das Darlehen noch nicht ausgezahlt hat. Die Gläubiger sollen auch nach Anordnung einer Stabilisierungsmaßnahme weiterhin die Möglichkeit haben, sich vor einer weiteren Vergrößerung ihres wirtschaftlichen Risikos zu schützen.

Das Gericht kann zudem auf Antrag des Schuldners einen Restrukturierungsbeauftragten bestellen, der das Unternehmen bei Ausarbeitung und Aushandlung des Restrukturierungskonzepts und -plans unterstützt. Von Amts wegen soll ein Restrukturierungsbeauftragter jedoch nur in den gesetzlich vorgesehenen Einzelfällen eingesetzt werden, d. h. insbesondere wenn zu erwarten ist, dass nicht alle Gläubigergruppen mit der erforderlichen Mehrheit zustimmen werden, sodass es auf eine gruppenübergreifende Mehrheitsentscheidung ankommen wird sowie Fälle, bei denen Restrukturierungsbeteiligte (z. B. Verbraucher, KMUs) möglicherweise nicht in der Lage sind, ihre Interessen angemessen zu vertreten und daher besonders schutzbedürftig sind. Darüber hinaus kann das Gericht einen Restrukturierungsbeauftragten auch als Sachverständigen bestellen (z. B. zur Beurteilung der Planbestätigungsvoraussetzungen).

Ausblick

International betrachtet ist der mit dem SanInsFoG und dem StaRUG verfolgte Ansatz einer Restrukturierungsmöglichkeit außerhalb der Insolvenz ein erfreuliches Signal Deutschlands hin zu einem modernen Restrukturierungsstandort.

Sollte die Geschäftsführung ein Verfahren nach dem StaRUG in Betracht ziehen, bedarf es einer gewissen Vorbereitungszeit, die je nach Komplexität unterschiedlich lang sein kann. Um die Sanierungsmöglichkeiten des StaRUG nicht zu verpassen und Haftungsrisiken vorzubeugen, muss die Geschäftsführung die Liquiditätsentwicklung des Unternehmens genau im Auge behalten und für mindestens 24 Monate planen. Folgerichtig sieht das StaRUG auch die Einrichtung eines Risikofrüherkennungssystems bei haftungsbeschränkten Unternehmen vor.

Eine effiziente Verzahnung mit dem Steuerrecht dürfte im Rahmen des StaRUG indes nicht gelungen sein und zukünftig eine Vielzahl von Fragen aufwerfen, beispielsweise betreffend die Auswirkungen einer angeordneten Vollstreckungssperre auf das Besteuerungsverfahren wie auf Umsatzsteuerberichtigungen, aber auch bei den vereinbarten Restrukturierungsmaßnahmen zu berücksichtigende ertrag- und umsatzsteuerrechtliche Aspekte ebenso wie die Prüfung der Anwendbarkeit von § 3a EStG, § 7b GewStG auf Buchgewinne in Form von Sanierungserträgen. Da insbesondere ein BMF-Schreiben zu § 3a EStG bislang nicht erschienen ist, sollten einschlägige Fälle in enger Abstimmung mit dem steuerlichen Berater und im Interesse von Rechtssicherheit und nachhaltigem Sanierungserfolg gegebenenfalls über eine verbindliche Auskunft abgesichert werden.

Die Autorin und Rechtsanwältin Franziska Peter ist Expertin auf dem Gebiet Insolvenzrecht. Lassen Sie sich beraten.

Stand: 3. Februar 2021

Autorin: Franziska Peter, Rechtsanwältin, Auren

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