Kernaussage

Das Oberlandesgericht (OLG) München hat entschieden: Eine Erbeinsetzung ist nichtig, wenn der testamentarische Wortlaut so unbestimmt ist, dass selbst eine Auslegung keine eindeutige Erbenbestimmung zulässt. Die Wendung „die Person, die mich bis zu meinem Tode pflegt und betreut“ genügt diesen Anforderungen regelmäßig nicht, wenn unklar bleibt, ab wann, wie lange und in welcher Art und Weise die Pflege und Betreuung zu erfolgen haben und ob zwischenzeitliche Unterbrechungen unschädlich sind. Die bloß „derzeit“ benannte Person wird dadurch nicht automatisch Erbe.

Der entschiedene Fall

Eine verwitwete, kinderlose Erblasserin errichtete 2011 ein handschriftliches Testament: „Die Person, die mich bis zu meinem Tode pflegt und betreut, soll mein gesamtes Vermögen bekommen! Zurzeit ist es: Frau X …“. Nach dem Tod im Jahr 2021 beantragte Frau X einen Erbschein. Zwischenzeitlich waren auf Wunsch der Erblasserin weitere Betreuerinnen gerichtlich bestellt worden. Das Nachlassgericht kündigte zunächst einen Erbschein zugunsten von Frau X an; auf Beschwerde wurde dieser jedoch vom OLG München zurückgewiesen.

Benennung „zurzeit“ genügt nicht

Das OLG stellte voran, dass es bei der Auslegung gemäß § 133 BGB auf den wirklichen Erblasserwillen ankommt. Die Verwendung des Wortes „derzeit“ spricht gerade dagegen, dass die Erblasserin Frau X endgültig als Erbin bestimmen wollte. Vielmehr wurde Frau X nur beispielhaft genannt, weil sie im Errichtungszeitpunkt pflegte/betreute. Wer beim Erbfall Erbe sein sollte, blieb damit offen.

Grenzen der Auslegung

Gemäß § 2065 Abs. 2 BGB darf der Erblasser die Bestimmung der Person des Erben keinem Dritten überlassen. Zwar ist die Bezeichnung eines Bedachten delegierbar, nicht aber die Willensbildung. Daraus folgt: Das Testament muss Kriterien enthalten, anhand derer jede sachkundige Person den Erben ohne eigenes Ermessen bezeichnen kann. Wenn die Auslegung ergebnislos bleibt, ist die Verfügung nichtig.

Im vorliegenden Fall verneinte das Gericht eine hinreichend sichere Ermittlung des/der Erben. Der Wortlaut „pflegt und betreut … bis zu meinem Tod“ ließ zentrale Fragen unbeantwortet:

  • Zeitlicher Beginn:
    Sollte Pflege/Betreuung bereits ab Testamentserrichtung erfolgen, oder genügte ein späteres Einsetzen, etwa erst bei Eintritt der Pflegebedürftigkeit?

  • Dauer/Kontinuität:
    War eine unterbrechungsfreie Betreuung gefordert, oder waren Unterbrechungen (und in welchem Umfang) unschädlich?

  • Endpunkt:
    Erfordert „bis zu meinem Tod“ eine Sterbebegleitung „in den Tod“?

  • Inhaltliche Anforderungen:
    Verstand die Erblasserin „pflegen“ und „betreuen“ synonym oder kumulativ? Ging es um pflegerische Leistungen, rechtliche Betreuung, alltägliche Hilfe, emotionale Zuwendung, Finanz- und Behördenangelegenheiten – oder um eine Kombination?

Da die Erblasserin bereits im Pflegeheim lebte, lag zwar nahe, dass persönliche Zuwendung gemeint sein könnte; dies ließ sich dem Wortlaut (pflegen und betreuen) jedoch nicht sicher entnehmen. Auch spätere Aussagen Dritter konnten den maßgeblichen Willen im Errichtungszeitpunkt nicht zuverlässig rekonstruieren.

Konsequenz: Keine Erbeinsetzung, kein Erbschein

Mangels bestimmbarer Kriterien stand am Ende weder fest, was die Erblasserin verlangte, noch wer diese Anforderungen beim Erbfall erfüllte. Das Testament konnte daher keine wirksame Erbeinsetzung tragen; der Erbscheinsantrag wurde zurückgewiesen.

Einordnung in die Rechtsprechung

Das OLG München knüpft an eine strenge Linie an: Testamente mit Formeln wie „wer sich bis zu meinem Tode um mich kümmert“ sind zumeist zu unbestimmt. Stimmen in Literatur und Rechtsprechung betonen zwar, alltagssprachliche Begriffe haben einen „Kern“, an den die Auslegung nach § 2084 BGB anzuknüpfen ist, um den Willen möglichst zu erhalten. Dem hält das OLG entgegen: Auf einen „Mindestbedeutungsgehalt“ darf nur abgestellt werden, wenn feststeht, dass der Erblasser genau in diesem Sinne den Begriff verwenden wollte. Solange diese Feststellung nicht gelingt, ist die Verfügung nichtig.

Andere Gerichte haben weniger streng entschieden (z. B. „wer mich zuletzt pflegt“), vor allem wenn der Erblasser pflegebedürftig war und selbst die Pflegeperson bestimmt hat. Das aktuelle Urteil zeigt jedoch: Je offener die Formulierung und je länger die Zeitspanne zwischen Testament und Erbfall, desto höher das Risiko der Unwirksamkeit.

Praktische Folgerungen für Testierende

Wer sein Vermögen als „Dank für Pflege/Betreuung“ zuwenden möchte, sollte nicht auf schlagwortartige Wendungen vertrauen. Erforderlich sind klare Kriterien, etwa:

  • Beginn und Ende der Leistung (z. B. „ab Zuweisung Pflegegrad 2“ oder „ab Einzug in Pflegeeinrichtung X“ bis „zum Tod“).

  • Mindestumfang und Inhalt (z. B. wöchentlich mind. Y Stunden persönliche Anwesenheit; Hilfe bei Arztbesuchen/Behördengängen; emotionale Begleitung; keine rein professionelle Pflege).

  • Kontinuität (zulässige Unterbrechungen, z. B. Urlaub/Krankheit bis Z Wochen pro Jahr).

  • Personenkreis (namentliche Bestimmung oder Auswahlkriterien; Ersatzerben).

  • Mehrere Helfende (Quotenregelung nach Zeit/Leistung oder Vermächtnisse bei „Pflegegemeinschaft“).

  • Nachweis (z.B. Dokumentationsform, Bestätigung durch benannte Vertrauensperson/Testamentsvollstrecker).

Sinnvoll sind Alternativen: statt einer unbestimmten Erbeinsetzung Vermächtnisse (Pflege- oder Dankesvermächtnis) mit klarer Bedingung und Höhe, ggf. ergänzt um Testamentsvollstreckung zur fairen Verteilung und Beweisregeln. Auch Pflegevergütungen außerhalb des Erbrechts (z.B. schuldrechtliche Vereinbarungen) kommen in Betracht, um Streit im Nachlass zu vermeiden.

Auswirkungen auf laufende Verfahren

In Erbscheinsverfahren mit ähnlich offenen Klauseln ist mit strenger Prüfung zu rechnen. Fehlt es an bestimmbaren Kriterien, droht die Zurückweisung des Antrags. Wer sich auf eine „Pflegeklausel“ beruft, sollte – soweit möglich – objektive Belege und zeugenschaftliche Bestätigungen beibringen; allein alltagssprachliche Deutungen („kümmern“) genügen häufig nicht.

Fazit

Die Entscheidung des OLG München unterstreicht: Unbestimmte Pflege-/Betreuungsklauseln tragen eine Erbeinsetzung nicht. Der Wille des Erblassers muss so präzise niedergelegt sein, dass der Erbe ohne eigenes Ermessen Dritter identifiziert werden kann. Für die Praxis bedeutet das: Klartext statt Schlagwort – namentliche Erbeinsetzung, flankierende Vermächtnisse mit sauber geregelten Bedingungen und Nachweisen. So lassen sich Anerkennung für tatsächliche Pflegeleistungen und Rechtssicherheit im Erbfall miteinander verbinden.