In Deutschland sind rund 9,6 Millionen Menschen in Teilzeit tätig – Tendenz steigend. Mit der zunehmenden Verbreitung von Teilzeitarbeit rückt die Frage der Gleichbehandlung gegenüber Vollzeitbeschäftigten verstärkt in den Fokus arbeitsgerichtlicher Auseinandersetzungen. Besonders relevant sind dabei Vergütungsfragen, etwa im Hinblick auf Überstundenzuschläge oder leistungsbezogene Bonusvergütungen. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat insbesondere zum Thema Mehrarbeitsvergütung in Verbindung mit Teilzeitbeschäftigten in den letzten Jahren wiederholt Stellung genommen. Die Rechtsprechung des BAG ist allerdings uneinheitlich.

Zwei wegweisende Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) und des BAG haben nun klargestellt:

Teilzeitbeschäftigte dürfen bei der Überstundenvergütung nicht schlechter gestellt werden als Vollzeitkräfte – insbesondere nicht durch einheitliche (in der Regel vollarbeitszeit-orientierte) Schwellenwerte als Auslösegrenze. Diese Urteile, ergangen in den Verfahren Lufthansa CityLine und KfH Kuratorium für Dialyse, haben erhebliche Auswirkungen auf die Praxis – sowohl in tarifgebundenen als auch in tarifungebundenen Unternehmen.

Die Rechtsprechung setzt ein deutliches Zeichen zugunsten der Gleichbehandlung und zwingt Arbeitgeber, tarifliche und vertragliche Überstundenregelungen anzupassen. Im Mittelpunkt steht die Forderung nach einer proportionalen Bemessung von Überstundenvergütung im Verhältnis zur vertraglich vereinbarten Arbeitszeit.

Warum Teilzeit nicht gleich „weniger Recht“ bedeutet

Nach § 4 Abs. 1 Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) sowie Art. 4 der EU-Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit (RL 97/81/EG) dürfen Teilzeitkräfte nicht schlechter behandelt werden als vergleichbare Vollzeitkräfte – es sei denn, objektive Gründe rechtfertigen die Ungleichbehandlung. Genau daran mangelte es in den entschiedenen Fällen.

Der EuGH hat unmissverständlich festgestellt: Es stellt eine diskriminierende Ungleichbehandlung dar, wenn Teilzeitkräften eine Überstundenvergütung oder ein Zuschlag erst dann gewährt, wenn sie über die Schwelle der vollen Arbeitszeit eines vergleichbaren Vollzeitbeschäftigten hinaus arbeiten. Das bedeutet, dass eine 40 %-Teilzeitkraft wie eine Vollzeitkraft die volle Wochen- oder Monatsarbeitszeit überschreiten müsste, um Überstundenzuschläge zu erhalten, und führte faktisch dazu, dass die Teilzeitkraft selbst bei erheblicher Mehrarbeit leer ausginge.

Die Fälle

In dem Fall, zu dem das BAG kürzlich ein Urteil fällte, ging es um eine Frau, die als Teilzeit-Pflegekraft bei einem ambulanten Dialyseanbieter arbeitet. Nach dem Manteltarifvertrag gelten für sie die gleichen Regeln zu Überstunden wie bei den vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmern, wonach Überstundenzuschläge (erst) ab Überschreiten der Vollzeitarbeitszeit vergütet werden. Sie klagte Überstundenzuschläge ein und darüber hinaus noch eine Entschädigung, weil der Arbeitgeber sie wegen ihres Geschlechts diskriminiert habe, denn in ihrem Bereich arbeiten zu 90 % Frauen.

In einem anderen Fall, den der EuGH entschied, klagte ein deutscher Pilot, der für die Fluggesellschaft Lufthansa CityLine in Teilzeit arbeitet. Nach dem Tarifvertrag erhielt er eine zusätzliche Vergütung („Mehrflugdienststundenvergütung“) nur, wenn er eine festgelegte Anzahl an Flugstunden überschritt, die allerdings für Vollzeit- und Teilzeit-Piloten identisch ist. Der Arbeitgeber verweigerte die anteilige Berücksichtigung der Teilzeitquote mit dem Argument, die Zusatzvergütung diene dem Ausgleich außergewöhnlicher Belastung. Der Pilot sieht darin eine unzulässige Diskriminierung, die gegen EU-Recht verstößt, und klagte auf eine anteilige Absenkung der Schwelle entsprechend seinem Teilzeitpensum und eine Vergütung für geleistete Überstunden.

Das BAG legte in beiden Fällten die Frage dem EuGH zur Entscheidung vor. Es wollte wissen, ob die tarifvertraglichen Regelungen gegen Unionsrecht verstoßen.

Die Urteile

Der EuGH stellte sich auf die Seite der Arbeitnehmer. Die Europarichter erklärten, dass die beiden Kläger in ihrem jeweiligen Betrieb die gleichen Tätigkeiten wie ihre vollzeitbeschäftigten Kollegen ausüben. Es stellte daher fest, dass identische Schwellenwerte für die Mehrvergütung den Teilzeitkräften eine überproportionale Mehrarbeit abverlangen als den Kollegen mit Vollzeitjob. Teilzeitbeschäftigte würden damit mehr belastet und könnten die Bedingungen für Überstunden-Vergütung weitaus seltener erfüllen als Vollzeitkräfte.

Die jeweilige Regelung führt daher zu einer schlechteren Behandlung der Teilzeitkräfte und verstößt zudem wegen Diskriminierung gegen EU-Recht.

Stattdessen muss der Schwellenwert für die Überstunden proportional zur Arbeitszeit angesetzt werden. Teilzeitkräfte müssen bereits ab Überschreitung ihres individuellen Arbeitszeitvolumens Zuschläge oder Boni erhalten. Einheitliche Schwellenwerte verstoßen gegen EU-Recht, wenn sie nicht ausnahmsweise durch objektive Gründe gerechtfertigt sind (was in den Urteilsfällen jedoch nicht der Fall war). Allgemeine Hinweise auf Arbeitsbelastung, Missbrauchsvermeidung oder betriebliche Vereinfachung genügen nicht als sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung.

Das BAG schloss sich der Sicht der Europarichter an. Die Betroffenen haben Anspruch auf eine Nachzahlung für die geleisteten Überstunden. Der Pflegerin sprach es außerdem 250 Euro als Entschädigung nach § 15 Abs. 2 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) wegen mittelbarer Diskriminierung zu, begründet durch die statistische Überrepräsentanz von Frauen innerhalb der betroffenen Gruppe der Teilzeitbeschäftigten.

Fazit: Paradigmenwechsel in der arbeitsrechtlichen Vergütungspraxis

Die Rechtsprechung stärkt die Rechte von Teilzeitbeschäftigten und setzt neue Maßstäbe – vor allem in Branchen mit hohem Frauenanteil:

  • Gleichbehandlung heißt nicht identische Behandlung, sondern verhältnismäßige Behandlung.
  • Teilzeitkräfte dürfen nicht durch starre, vollzeitorientierte Schwellenwerte benachteiligt werden.
  • Tarifautonomie bleibt bestehen, muss aber künftig transparenter und objektiver begründet werden.

Rechtliche Konsequenzen und Risiken für Arbeitgeber

  • Tarifverträge und betriebliche Regelungen unter Anpassungsdruck:
    Einheitliche Schwellenwerte für Überstunden oder Boni, die nicht zwischen Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigten differenzieren, sind künftig unzulässig. Tarifverträge, Betriebsvereinbarungen und Arbeitsverträge müssen überprüft und gegebenenfalls angepasst werden.
  • Haftungsrisiken und Nachzahlungsansprüche:
    Unwirksame Regelungen können zu Rückzahlungsforderungen und Entschädigungsansprüchen führen – auch rückwirkend. Bei Firmentarifverträgen besteht zudem keine Haftungsprivilegierung (§ 15 Abs. 3 AGG greift nicht).
  • Risiko mittelbarer Geschlechterdiskriminierung:
    Besteht ein signifikanter Frauenüberhang unter den Teilzeitkräften, liegt schnell eine mittelbare Diskriminierung wegen des Geschlechts vor. Arbeitgeber müssen dies statistisch prüfen und gegensteuern.
  • Eingeschränkte Rechtfertigungsmöglichkeiten:
    Typische Argumente wie etwa „Die Belastung durch Überstunden besteht nur bei Vollzeitkräften“ oder „Zuschläge sollen Missbrauch vermeiden“ sowie „Überstundenvergütung bei Teilzeit führt zu überhöhter Stundenvergütung“ genügen nicht. Der EuGH verlangt eine objektive, belegbare Rechtfertigung für jede Ungleichbehandlung.

Empfehlungen für Arbeitgeber

Arbeitgeber und Tarifparteien sind gut beraten, ihre Vergütungsmodelle jetzt auf den Prüfstand zu stellen und diskriminierungsfreie Strukturen zu schaffen.

  • Prüfung bestehender Regelwerke:
    Prüfen Sie alle arbeitsvertraglichen, tariflichen oder betrieblichen Regelungen zur Mehrvergütung auf unionsrechtliche Konformität.
  • Umsetzung des Pro-Rata-Temporis-Prinzips in bestehenden/neuen betrieblichen Regelungen:
    Zuschläge und Boni müssen anteilig zur vertraglichen Arbeitszeit berechnet werden – nicht anhand absoluter Vollzeitmaßstäbe. Für nicht tarifgebundene Unternehmen bietet sich die Anpassung einzelvertraglicher Regelungen an. Tarifgebundene Arbeitgeber sollten auf eine zügige Überarbeitung mit den Tarifparteien hinwirken. Künftige variable Vergütungsbestandteile sollten von vornherein diskriminierungsfrei und transparenzfähig gestaltet sein. Die Berücksichtigung der EuGH-Vorgaben ist insbesondere bei Bonusregelungen oder Zuschlägen bei Mehrarbeit unerlässlich.
  • Dokumentation von Belastungsgründen:
    Wenn Zuschläge einen Belastungsausgleich darstellen sollen, bedarf es fundierter, objektivierbarer Belege. Pauschale Formulierungen reichen nicht.
  • Beachtung der AGG-Vorgaben:
    Mittelbare Diskriminierung kann auch bei tariflicher Bindung zu Entschädigungsansprüchen führen. Arbeitgeber sollten auf eine diskriminierungsfreie Gestaltung achten – oder zumindest stichhaltige Gründe nachweisen können.

Gerne unterstützen wir Sie bei der Überprüfung Ihrer bestehenden Regelungen und möglichen Anpassungsbedarfen in Arbeitsverträgen und Betriebsvereinbarungen oder bei der Umsetzung neuer, diskriminierungsfreier Modelle sowie der rechtssicheren Gestaltung Ihrer tariflichen oder betrieblichen Vergütungssysteme.