Vorkaufsrecht eines Angehörigen gegenüber Mietervorkaufsrecht

Soll die Wohnung oder das Haus verkauft werden, bekommen es Mieter schnell mit der Angst zu tun. Diese Angst ist jedoch häufig unbegründet: Bei einer Mietwohnung, die zur Eigentumswohnung umgewandelt wird oder wurde, ist der Eigentümer i.d.R. gesetzlich verpflichtet, dem (zur Zeit der Umwandlung aktuellen) Mieter die Wohnung vorrangig zum Kauf anzubieten, wenn diese verkauft werden soll. Dieses Vorrecht wird als „Vorkaufsrecht“ bezeichnet. Das Mietervorkaufsrecht ermöglicht es dem Mieter, die Wohnung zu denselben Bedingungen wie der Dritte (Erwerber) zu kaufen.
Unabhängig davon kann der Eigentümer auch anderen Personen Vorkaufsrechte gewähren, die als sog. dingliches Recht im Grundbuch eingetragen werden (§ 1094 BGB).
Anders als das Vorkaufsrecht für mehrere Personen, das in § 472 BGB ausdrücklich geregelt ist, fehlt es an einer gesetzlichen Regelung für das Verhältnis mehrerer Vorkaufsrechte zueinander. Weil das Vorkaufsrecht „unteilbar“ ist, bedarf es bei mehreren für ein und dasselbe Grundstück oder Wohnungseigentum bestehenden Vorkaufsrechten einer Klärung des Verhältnisses der Rechte zueinander. Für mehrere dingliche Vorkaufsrechte nach § 1094 BGB ist in der Regel die Konkurrenz durch die Rangstelle des Vorkaufsrechts im Grundbuch (§ 879 BGB) aufzulösen. Ist ein nachrangiges Vorkaufsrecht für mehrere Verkaufsfälle eingeräumt, bleibt es bei Ausübung des Rechts durch den im Rang vorgehenden Rechtsinhaber bestehen. Ist das nachrangige Vorkaufsrecht nur für den ersten Verkaufsfall bestellt, erlischt es mit dem ersten Verkaufsfall durch Verkauf an den Vorkaufsberechtigten, der einen besseren Rang hat. Dagegen sind mehrere gleichrangige dingliche Vorkaufsrechte nur dann zulässig, wenn sie nicht miteinander in Konkurrenz stehen, weil sie jeweils auf unterschiedliche Miteigentumsanteile beschränkt sind.
Für die Konkurrenz des dinglichen Vorkaufsrechts mit dem Vorkaufsrecht des Mieters nach § 577 BGB kann der Rang des Vorkaufsrechts naturgemäß keine Klärung schaffen, denn das Mietervorkaufsrecht ist – anders als ein dingliches Vorkaufsrecht – nicht in das Grundbuch einzutragen.
Fall
In einem solchen Kollisionsfall, bei dem sowohl ein Mietervorkaufsrecht (§ 577 BGB) als auch ein einem Familienangehörigen rechtsgeschäftlich bestelltes, dingliches Vorkaufsrecht gemäß § 1094 BGB bestand, hatte nun der Bundesgerichtshof (BGH) kürzlich im Rahmen einer Grundbuchbeschwerde zu entscheiden.
Im Urteilsfall ließ der Eigentümer einer Eigentumswohnung zeitgleich mit seiner Eintragung als Wohnungseigentümer im Wohnungsgrundbuch ein Vorkaufsrecht – „auflösend bedingt für den ersten das Vorkaufsrecht auslösenden Verkaufsfall“ – zugunsten seiner (mittlerweile geschiedenen) Ehefrau eintragen. Als der Wohnungseigentümer die Wohnung später an Dritte verkaufen will, üben Ehefrau wie Wohnungsmieter „ihr“ Vorkaufsrecht aus. Der Wohnungseigentümer lässt die Wohnung mit Genehmigung des Dritten an den Mieter auf, der Mieter wird als Eigentümer im Wohnungsgrundbuch eingetragen. Das im Wohnungsgrundbuch eingetragene Vorkaufsrecht der Ehefrau wurde gelöscht. Hiergegen hat die Ehefrau Rechtsmittel eingelegt und die Eintragung eines gegen die Löschung gerichteten Widerspruchs beantragt.
Entscheidung
Mit seinem Beschluss stellt der BGH klar, dass die Voraussetzungen für eine Löschung des Vorkaufsrechts nicht vorlagen.
Ob das Mietervorkaufsrecht generell Vorrang vor dinglichen Rechten hat, wie vielfach vertreten wird oder nur dann, wenn das dingliche Vorkaufsrecht bei Abschluss des Mietvertrags noch nicht vereinbart war, hat der BGH offengelassen. Ein dingliches Vorkaufsrecht hat jedenfalls dann Vorrang vor dem Mietervorkaufsrecht, wenn es von dem Eigentümer zugunsten eines Familienangehörigen bestellt wurde. Aus § 577 Abs. 1 S. 2 BGB ergibt sich, dass ein „Verkauf“ an einen Familienangehörigen das Vorkaufsrecht des Mieters sperrt. Zwar liegt in der Bestellung eines dinglichen Vorkaufsrechts an die Ehefrau kein Verkaufsfall, die in § 577 Abs. 1 S. 2 BGB zum Ausdruck kommende gesetzgeberische Wertungsentscheidung führt aber dazu, dass das von dem Vermieter zugunsten eines Familienangehörigen bestellte dingliche Vorkaufsrecht gegenüber der bloß gesetzlichen Rechtsstellung des Mietervorkaufsrechts vorrangig ist.
Praxishinweis
Im Verkaufsfall wollte der Gesetzgeber Familienangehörige erkennbar gegenüber einem Mieter privilegieren. Dem würde es zuwiderlaufen, wenn der Mieter in dieser Konstellation die dingliche Rechtsstellung unterlaufen könnte. Es ist zu berücksichtigen, dass der Mieter, wie der BGH zu Recht herausstellt, sein Vorkaufsrecht auch dann nicht wirksam ausüben könnte, wenn die Wohnung unmittelbar an einen Angehörigen verkauft würde. Damit kann ein Vorrang des dem Mieter zustehenden gesetzlichen Vorkaufsrechts vor dem einem Familienangehörigen eingeräumten dinglichen Recht nur bei Rechtsmissbrauch, d. h. in Vereitelungsfällen, in Betracht zu ziehen sein.
In der Praxis komplizierter dürfte jedoch die Ermittlung des von § 577 Abs. 1 S. 2 BGB umfassten Personenkreises der Angehörigen sein, sowie etwa auch wenn sich – wie hier – die Frage stellt, ob eine (zwischenzeitlich) geschiedene Ehefrau (noch) zu diesem Kreis gehört.
Offen ist zudem weiterhin, in welchem Konkurrenzverhältnis Mietervorkaufsrecht und (anderen Personen als Angehörigen eingeräumte) dingliche Vorkaufsrechte generell stehen.
Wird eine Wohnung nach Aufteilung veräußert und steht dem Mieter (möglicherweise) ein Vorkaufsrecht nach § 577 BGB zu, kommt es nicht selten zu erheblichen Abwicklungsproblemen beim Kaufvertrag. Jedes Vorkaufsrecht – sei es das vereinbarte Vorkaufsrecht nach § 1094 BGB, sei es das Vorkaufsrecht nach § 577 BGB – bereitet Schwierigkeiten. Die Entscheidung des BGH belegt jedenfalls, dass mit der rechtsgeschäftlichen Einräumung dinglicher Vorkaufsrechte möglichst Zurückhaltung geübt werden sollte. Oft – auch hier scheint es so gewesen zu sein – wird das dingliche Vorkaufsrecht dem geschiedenen Ehepartner eingeräumt, der im Rahmen der Vermögensauseinandersetzung auf sein Miteigentum verzichtet hat, aber dem anderen, der die Wohnung allein übernimmt, nicht traut und fürchtet, ihm würde bei der gewinnbringenden Veräußerung „sein Anteil“ vorenthalten. Die oft gewünschte Einräumung des Vorkaufsrechts an den geschiedenen Ehepartner ist jedenfalls nicht anzuraten, weil die damit verbundenen Probleme vielfältig sind, nicht nur wenn es um das Verhältnis zum Mietervorkaufsrecht geht.
Überhaupt sollte von der Möglichkeit zur Vereinbarung von Vorkaufsrechten nur zurückhaltend Gebrauch gemacht werden. Immerhin ist bei rechtsgeschäftlich eingeräumtem Vorkaufsrecht – wenn die Beteiligten dazu bereit sind – bereits im Vorfeld des Verkaufs eine Klärung, vor allem ein Verzicht des Vorkaufsberechtigten möglich. Für das Mietervorkaufsrecht fehlt es an einer solchen Möglichkeit, insbesondere kann der Mieter vor Verkauf nach überwiegender Auffassung wegen § 577 Abs. 5 BGB nicht vor Abschluss des Kaufvertrags auf das Vorkaufsrecht verzichten. Für jeden Käufer einer Wohnung ist ein dinglich wirkendes Vorkaufsrecht ein erheblicher Unsicherheitsfaktor, den er sich nicht selten gut bezahlen lässt und der daher nach Möglichkeit (insbesondere bei rechtsgeschäftlicher Begründung des Vorkaufsrechts) vermieden werden sollte.