Keine Zahlungspflicht bei Nichtaufklärung über das Widerrufsrecht

03/08/2024

Widerruft ein Verbraucher einen bereits erfüllten und außerhalb von Geschäftsräumen abgeschlossenen Dienstleistungsvertrag, so ist er von jeder Zahlungspflicht befreit. In einem Urteil hat der Europäische Gerichtshof (EuGH Urteil C-97/22 v. 17.05.2023) im Sinne des Verbraucherschutzes entschieden, dass Kunden, die als Verbraucher über ihr Widerrufsrecht nicht aufgeklärt wurden, im Falle eines Widerrufs nicht zahlen müssen – auch wenn die Dienstleistung bereits vollständig erbracht wurde. Der Unternehmer muss somit die Kosten tragen, die ihm für die Erfüllung des Vertrags während der Widerrufsfrist entstanden sind; er kann seine entstandenen Kosten weder im Rahmen eines Vergütungsanspruches noch im Rahmen des Wertersatzes verlangen.

Das Urteil stellt klar, dass der Verbraucherschutz im Vordergrund steht und sogar das Argument der ungerechtfertigten Bereicherung übertrumpft.

Hintergrund

Ein Verbraucher schloss mit einem Unternehmen einen Vertrag über die Erneuerung der Elektroinstallation seines Hauses. Das Unternehmen versäumte es jedoch, den Kunden über das Widerrufsrecht zu unterrichten, das dem Verbraucher grundsätzlich während 14 Tagen zusteht, wenn der Vertrag außerhalb der Geschäftsräume des Unternehmens abgeschlossen worden war.

Nach Erbringung seiner vertraglichen Leistungen legte das Unternehmen dem Verbraucher die entsprechende Rechnung vor. Der Kunde beglich die Rechnung nicht, sondern widerrief den Vertrag. Er macht geltend, dass das Unternehmen keinen Anspruch auf Vergütung habe, da der Unternehmer es versäumt habe, den Kunden über sein Widerrufsrecht zu unterrichten. Die Arbeiten seien vor Ablauf der – nunmehr wegen der fehlenden Belehrung auf ein Jahr verlängerten – Widerrufsfrist ausgeführt worden. Mit dem zulässigen Widerruf entfiele auch die Vergütungspflicht.

Prozessverlauf

Das mit einem Rechtsstreit über diesen Anspruch befasste deutsche Gericht (Landgericht Essen) stimmte dem Kunden in rechtlicher Hinsicht zwar zu. Es vertrat die Auffassung, dass ein Verbraucher nach den Bestimmungen des deutschen Rechts, die zur Umsetzung der Richtlinie über die Rechte der Verbraucher erlassen worden seien, nicht für die vor Ablauf der Widerrufsfrist erbrachte Dienstleistung aufzukommen brauche, wenn der Unternehmer es versäumt habe, ihn über sein Widerrufsrecht zu unterrichten.

Das deutsche Gericht fragt sich jedoch, ob diese Verbraucherschutzrichtlinie (RL 2011/83) insbesondere in ihrem Art. 14 Abs. 5 jeglichen Anspruch des Unternehmers auf „Wertersatz“ auch dann ausschließt, wenn dieser Verbraucher sein Widerrufsrecht erst nach Erfüllung eines außerhalb von Geschäftsräumen abgeschlossenen Vertrags ausgeübt hat. Auf diese Weise könnte der Verbraucher nämlich durch die (ganz bewusst) erst nach Vertragserfüllung vorgenommene Erklärung des Widerrufs einen Vermögenszuwachs erlangen, was dem Grundsatz des Verbots ungerechtfertigter Bereicherung, einem allgemeinen Grundsatz des Unionsrechts, zuwiderliefe. Das deutsche Gericht hat daher den Gerichtshof ersucht, die Richtlinie unter diesem Gesichtspunkt auszulegen.

Entscheidung des EuGH: Bei Widerruf entfällt Zahlungspflicht stets

Die Richter des Europäischen Gerichtshofs entschieden dieses Ersuchen jedoch voll und ganz im Sinne des Verbraucherschutzes. Ein Verbraucher ist von jeder Verpflichtung zur Vergütung der Leistungen befreit, die in Erfüllung eines außerhalb von Geschäftsräumen abgeschlossenen Dienstleistungsvertrags erbracht wurden, wenn der betreffende Unternehmer ihn nicht zuvor über sein Widerrufsrecht informiert hat und der Verbraucher sein Widerrufsrecht auch erst nach Erfüllung dieses Vertrags ausgeübt hat.

In seiner Begründung merkt der EuGH an, dass das Widerrufsrecht den Verbraucher in der besonderen Situation eines Vertragsabschlusses außerhalb von Geschäftsräumen schützen soll. In diesem Kontext steht der Verbraucher nämlich möglicherweise psychisch stärker unter Druck oder ist einem Überraschungsmoment ausgesetzt. Daher ist die Information über das Widerrufsrecht für den Verbraucher von grundlegender Bedeutung und erlaubt ihm, die Entscheidung, ob er den Vertrag abschließen soll oder nicht, in Kenntnis der Sachlage zu treffen.

Hinsichtlich der Frage des vom Verbraucher auf diese Weise erzielten Vermögenszuwachses und des Verbots ungerechtfertigter Bereicherung weist der EuGH darauf hin, dass dem Verbraucher keine Kosten – auch kein Wertersatz – entstehen dürfen. Das Unternehmen trägt das Verlustrisiko, wenn es versäumt hat, über das Widerrufsrecht zu belehren. Der Grund dafür ist der hohe Stellenwert des Verbraucherschutzes in der EU. Dieser kann nur gewährleistet werden, wenn der Verbraucher über seine Rechte vollständig informiert ist.

Eine Kostenbelastung für den Verbraucher trotz mangelnder Aufklärung wäre eine Bedrohung für das hohe Niveau des Verbraucherschutzes in der EU. Das Ziel der EU-Richtlinie, ein hohes Verbraucherschutzniveau sicherzustellen, geriete in Gefahr, falls zugelassen würde, dass einem Verbraucher in der Folge seines Widerrufs eines außerhalb von Geschäftsräumen abgeschlossenen Dienstleistungsvertrags Kosten entstehen könnten, die in der EU-Richtlinie nicht ausdrücklich vorgesehen sind. Daher muss in solchen Fällen das Unternehmen die Verantwortung tragen.

Wenn Sie dieser Beitrag interessiert, lesen Sie auch

Erlöschen einer Erbengemeinschaft unumkehrbar
Nach Kündigung „krankfeiern“ bis zum Austritt?
Vereinbarung von Reservierungsgebühren zum Maklervertrag unwirksam

Erfahren Sie mehr zu unseren Leistungen in der Rechtsberatung.

Bei Fragen sind unsere Beraterinnen und Berater gerne für Sie da.

Kein Token oder Token ist abgelaufen.

  • Leistungen

  • Themen

  • Branchen