Zugangszeitpunkt einer E-Mail im Geschäftsverkehr

15/03/2023

Der BGH hat sich in einem Fall, in dem es um den Zugang einer E-Mail unter Unternehmern ging, dazu geäußert, wann eine E-Mail im Geschäftsverkehr zugeht. Besonderheit des Falls war, dass die erste E-Mail mit einem Vergleichsangebot unstreitig auf dem E-Mail-Server des Beklagten eingegangen, aber noch nicht abgerufen worden war, als die Klägerin diese Willenserklärung kurze Zeit später gem. § 130 Abs. 1 S. 2 BGB – ebenfalls per E-Mail – widerrufen wollte.

Zugangszeitpunkt der Willenserklärung umstritten

Zum Teil wird angenommen, dass eine E-Mail dem Empfänger unmittelbar in dem Zeitpunkt zugeht, in dem sie abrufbereit in seinem elektronischen Postfach eingegangen ist. Eine Ausnahme soll für den Fall gelten, dass die E-Mail zur Unzeit oder außerhalb der üblichen Geschäftszeiten eingeht. Dann erfolgt der Zugang der Erklärung am Folgetag.
Nach anderer Ansicht geht eine E-Mail dem Empfänger, wenn ein Abruf im geschäftlichen Verkehr erwartet werden kann, an dem Tag zu, an dem sie abrufbereit im Postfach liegt. Maßgeblich ist danach, wann der Absender mit einer Kenntnisnahme der E-Mail nach dem üblichen Geschäftsablauf rechnen kann. Insoweit wird angenommen, dass ein Abruf der E-Mails spätestens bis zum Ende der Geschäftszeit zu erwarten ist.

Der Bundesgerichtshof hat nun in seinem Urteil v. 6.10.2022 klargestellt, wann eine E-Mail im geschäftlichen Verkehr als zugegangen gilt: „Wird eine E-Mail im unternehmerischen Geschäftsverkehr innerhalb der üblichen Geschäftszeiten auf dem Mailserver des Empfängers abrufbereit zur Verfügung gestellt, ist sie dem Empfänger grundsätzlich in diesem Zeitpunkt zugegangen.“ Die abrufbereite E-Mail sei „so in den Machtbereich des Empfängers gelangt, dass er sie unter gewöhnlichen Umständen zur Kenntnis nehmen kann“. Dass die E-Mail tatsächlich abgerufen und zur Kenntnis genommen wird, ist für den Zugang nicht erforderlich.“

Im entschiedenen Fall war daher die erste E-Mail mit dem Angebot trotz fehlenden Abrufs durch die Beklagte bereits zugegangen und damit nach § 145 BGB wirksam und bindend.

Widerruf praktisch ausgeschlossen

Die Folge, die sich auch im vorliegenden Fall zeigt, ist dramatisch. Eine einmal per E-Mail übermittelte Willenserklärung kann nur noch widerrufen werden, wenn dem Absender ein besonderes Widerrufsrecht zusteht. Ein Widerruf gemäß § 130 Abs. 1S. 2 BGB ist praktisch ausgeschlossen, denn der Absender kann seine Erklärung nicht mehr „einholen“. Selbst wenn er den Empfänger sofort von seinem Sinneswandel in Kenntnis setzt und dieser die E-Mail noch gar nicht gelesen hat, kommt der Widerruf nach herrschender Meinung zu spät.

Offen bleibt jedoch, ob auch außerhalb der üblichen Geschäftszeit eingegangene E-Mails schon mit der Möglichkeit des Abrufs oder erst zu Beginn der üblichen Geschäftszeit zugehen. Auch was die übliche Geschäftszeit ist, birgt ein hohes Maß an Unsicherheit (übliche Öffnungszeiten oder übliche Bürozeiten? Regionale Besonderheiten (z.B. Kölner Karneval)? Tage, die zwar keine gesetzlichen Feiertage sind, an denen aber in vielen Branchen herkömmlich nicht (voll) gearbeitet wird (z.B. Silvester)?). Zum anderen ist ungeklärt, ob die Möglichkeit der Kenntnisnahme auch für das Wirksamwerden von Willenserklärungen gegenüber Privatpersonen genügen soll oder ob es insoweit darauf ankommen soll, wann mit einer Kenntnisnahme zu rechnen ist. Ein Zugangsbegriff, der zwischen Verbrauchern und Unternehmern differenziert, wäre misslich.

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