Sozialplanabfindung – Kürzung für baldige Rentner zulässig?

16/04/2024

Bei betriebsbedingten Kündigungen soll ein Sozialplan wirtschaftliche Nachteile für Beschäftigte abmildern. Doch darf ein Sozialplan niedrigere Abfindungen für rentennahe Jahrgänge vorsehen? Nach einer Entscheidung des Landesarbeitsgerichts (LAG) Nürnberg darüber, welche Differenzierungen in einem Sozialplan hinsichtlich des Alters oder der Betriebszugehörigkeit für rentennahe Jahrgänge zulässig sind, kann die Kürzung von Abfindungen für rentennahe Jahrgänge legitim sein, um das Sozialplanbudget bedarfsgerecht zu verteilen.

Sozialplan

Bei einem Personalabbau sind Arbeitgeber gemäß § 112 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) verpflichtet, einen Interessenausgleich mit den Beschäftigten zu verhandeln und einen Sozialplan abzuschließen. Letzterer soll wirtschaftliche Nachteile der von Kündigungen betroffenen Arbeitnehmer ausgleichen oder zumindest mildern. Dabei gilt es meist, ein begrenztes Budget zu verteilen. Gemäß der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts müssen Arbeitgeber und Personalverantwortliche auf die sog. Verteilungsgerechtigkeit achten: Möglichst alle von Kündigungen betroffenen Arbeitnehmer sollen eine Überbrückungshilfe bekommen zur wirtschaftlichen Absicherung bis sie einen neuen Job haben oder Rente beziehen. Den Betriebspartnern kommt dabei ein Beurteilungs- und Ermessensspielraum zu. Lebensalter und Dauer der Betriebszugehörigkeit spielen eine wichtige Rolle für die Höhe der Abfindung. Ausdrücklich sieht auch das allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) in § 10 S. 3 Nr. 6 AGG Differenzierungen nach Alter oder Betriebszugehörigkeiten für rentennahe Jahrgänge vor. Welche Differenzierungen zulässig und möglich sind, ergibt sich aber aus diesen Vorschriften nicht. Die dazu bereits existierende Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts hat jetzt das LAG Nürnberg in seinem Urteil vom 11.11.2022 weiter präzisiert.

Urteilsfall

Im konkreten Urteilsfall vereinbarte ein Arbeitgeber mit dem Betriebsrat aufgrund eines größeren Personalabbaus einen Sozialplan. Dieser sah vor, dass die betroffenen Arbeitnehmer zum Ausgleich des Arbeitsplatzverlustes eine Abfindung erhalten. Die Abfindungshöhe berechnete sich aus der Betriebszugehörigkeit und der Höhe des Gehaltes. Für ältere Arbeitnehmer ab Vollendung des 62. Lebensjahrs, die (spätestens) nach dem 24-monatigen Bezug von Arbeitslosengeld I entweder eine vorzeitige Altersrente mit Abschlägen oder die Regelaltersrente in Anspruch nehmen konnten, sah der Sozialplan allerdings eine auf 25 % der Standardabfindung gekürzte Abfindung vor.
Der zum Zeitpunkt der Entlassung knapp 62-jährige Kläger war über 25 Jahre bei der Beklagten beschäftigt und machte vor dem Arbeitsgericht die Differenz der ihm unter Anwendung des im Sozialplan festgelegten Altersabschlags entgangenen Abfindung geltend. Seiner Auffassung nach stellte die Regelung im Sozialplan über die pauschale Abfindungskürzung für rentennahe Arbeitnehmer eine unzulässige Altersdiskriminierung dar, die auch nicht nach § 10 S. 3 Nr. 6 AGG gerechtfertigt sei, demzufolge Differenzierungen nach dem Alter in Sozialplänen nur in bestimmten Ausnahmefällen zulässig sein können. Durch die zukünftige Rentenberechtigung sei er nicht hinreichend abgesichert.

Entscheidung

Das LAG Nürnberg kam – wie auch das Arbeitsgericht Bayreuth in der Vorinstanz – zu der Entscheidung, dass die im Sozialplan vereinbarte Abfindungsregelung mit Altersfaktor zulässig ist und nicht gegen höherrangiges Recht verstößt. Ein weitergehender Abfindungsanspruch des Klägers besteht demnach nicht.

Keine Altersdiskriminierung

Eine Kürzung der Standardabfindung auf ¼ für Arbeitnehmer, die das 62. Lebensjahr vollendet haben, stellt zwar eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters im Sinne von § 3 Abs. 1 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) dar. Dies ist jedoch gerechtfertigt: gemäß der ausdrücklichen Regelung in § 10 S. 2 und 3 Nr. 6 AGG können die Betriebspartner ältere Arbeitnehmer in Sozialplänen pauschal in einem angemessenen Umfang schlechter stellen, wenn die Arbeitnehmer wirtschaftlich abgesichert sind, weil sie, ggfs. nach Bezug von Arbeitslosengeld, rentenberechtigt sind. Denn der deutsche Gesetzgeber verfolge mit dieser Regelung das Ziel, die Leistungen des Sozialplans an den wirtschaftlichen Nachteilen zu orientieren, die den Arbeitnehmern drohen, wenn sie durch eine Betriebsänderung ihren Job verlieren. Rentenberechtigung in diesem Sinne meint gemäß der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) sowohl die Gewährung einer Altersrente wegen Erreichen der Regelaltersgrenze als auch die Möglichkeit, eine Altersrente vorzeitig in Anspruch zu nehmen.

Kürzungen für rentennahe Jahrgänge dienen der Verteilungsgerechtigkeit

Da nach Ansicht des LAG das Volumen des Sozialplans aufgrund der angespannten wirtschaftlichen Situation des beklagten Arbeitgebers sehr begrenzt war, mussten die Betriebsparteien die zur Verfügung stehenden Mittel für den Ausgleich künftiger Nachteile optimieren. Aus Gründen der Verteilungsgerechtigkeit darf dabei keine Gruppe übermäßig bevorzugt werden. Die Kürzung von Sozialplanleistungen für rentennahe Jahrgänge beziehungsweise der Ausschluss dieser von Abfindungen sei grundsätzlich geeignet, für andere Arbeitnehmergruppen größere finanzielle Mittel zur Verfügung zu stellen und so dem legitimen Ziel einer bedarfsgerechten Verteilung des begrenzten Sozialplanvolumens zu dienen.

Höhere Absicherungsbedürftigkeit „rentenferner“ Jahrgänge

Rentenberechtigte und rentennahe Arbeitnehmer sind im Vergleich zu jüngeren Arbeitnehmern, die nach der Inanspruchnahme von Arbeitslosengeld bei fortbestehender Arbeitslosigkeit in die Grundsicherung fallen können, ausreichend abgesichert. Bei der typisierenden Beurteilung, rentenberechtigte und rentennahe Arbeitnehmer als stärker abgesichert anzusehen, handelt es sich um eine den Betriebsparteien im Rahmen ihres Beurteilungsspielraums zustehenden zulässigen Einschätzung. Die Betriebsparteien können deshalb zwischen rentennahen und rentenfernen Jahrgängen differenzieren.

Tatsächliche Höhe der späteren Rente nicht maßgeblich

Die Betriebsparteien haben dabei die Höhe der dem betroffenen Arbeitnehmer konkret zustehenden Altersrente auf Basis seines konkreten Renteneintrittsdatums nicht zu berücksichtigen oder im Detail zu ermitteln. Ohne Bedeutung ist daher der Umstand, dass der Kläger nur eine geringe Altersrente und aufgrund seiner Entlassung eine entsprechend geringere vorzeitige Altersrente in Anspruch nehmen kann. Die Betriebsparteien sind auch nicht gehalten, Rentenabschläge auszugleichen. Die mit der vorzeitigen Inanspruchnahme der Altersrente verbundenen Abschläge haben auf die Angemessenheit der Schlechterstellung keine Auswirkungen, denn die Höhe der sozialversicherungsrechtlichen Altersabsicherung unterliegt der Einschätzungsprärogative des Gesetzegers und ist nicht als wirtschaftlich unangemessen anzusehen. Es genügt grundsätzlich, eine substanzielle Milderung der wirtschaftlichen Nachteile durch den Sozialplan zu erreichen.

Vollständiger Nachteilsausgleich nicht bezweckt

Ein Sozialplan muss die wirtschaftlichen Nachteile der Arbeitnehmer nicht notwendigerweise möglichst vollständig ausgleichen und alle denkbaren Nachteile entschädigen. Er muss aber dem Normzweck des § 112 Abs. 1 S. 2 BetrVG entsprechend geeignet sein, die drohenden wirtschaftlichen Nachteile der Arbeitnehmer zumindest substanziell abzumildern. Eine im Sozialplan enthaltene Abfindung stellt aber weder ein zusätzliches Entgelt für die in der Vergangenheit geleistete Tätigkeit noch eine Kompensation für den Arbeitsplatzverlust dar, sondern ausschließlich eine Überbrückungshilfe bis zu einer anderweitigen wirtschaftlichen Absicherung. Diese Überbrückung kann regelmäßig nur in typisierender und pauschalierender Form geschehen, weil die Betriebspartner die für den einzelnen Arbeitnehmer zu erwartenden Nachteile nicht konkret voraussehen können.
Auch die Verwendung einer Stichtagsregelung ist nicht unangemessen, denn die damit verbundenen „Härten“ sind im Interesse der Rechtssicherheit hinzunehmen. Zulässig ist es daher, im Sozialplan konkrete Stichtage vorzusehen.
Die Kürzung von Sozialplanleistungen für rentennahe Jahrgänge bzw. der Ausschluss dieser von Abfindungen ist daher zulässig.
Es bleibt abzuwarten, ob das BAG diese Entscheidung im Rahmen der noch immer anhängigen Revision bestätigt.

Fazit

Die Entscheidung setzt die Rechtsprechung des BAG zur Zulässigkeit von Altersdifferenzierungen in Sozialplänen konsequent fort. Das LAG hält altersbedingte Differenzierungen in Sozialplanregelungen, die sich an den durch den Arbeitsplatzverlust entstehenden wirtschaftlichen Nachteilen für rentenberechtigte Arbeitnehmer orientieren, für angemessen und zulässig. Abfindungsregelungen, die für rentennahe Jahrgänge im Rahmen von Stichtagsregelungen Sozialplankürzungen vorsehen, sind zulässig. Das LAG Nürnberg stärkt damit zutreffend die Rechte der Betriebspartner, typisierende Regelungen in Sozialplänen zu vereinbaren. Zur Vermeidung von besonderen Härten im Einzelfall können die Betriebspartner Härtefalltöpfe vereinbaren und einen kleinen Teil des Sozialplanvolumens für entsprechende Fälle vorhalten.

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